20. Neu geformt und doch nicht heil

Meine zweite Brustoperation – die hoffentlich restlose Entfernung des DCIS – war in vielerlei Hinsicht identisch mit der ersten, meiner beidseitigen Mastektomie: Es fühlte sich ebenso seltsam an, nackt unter der Wärmedecke, neben den Schränken mit den Medikamenten und inmitten des Gewusels von Ärztinnen, Narkoseassistenten, Pflegern und Patientinnen. Der Chirurg war weiterhin wortkarg und immer mit einem Fuss bereits wieder aus dem Zimmer raus; die Narkose war auch diesmal angenehm, die Drainage auch diesmal nicht.

Nur ich selbst war nicht mehr dieselbe. Die Erfahrung hatte mich gelehrt, die Operation nicht zu fürchten – weshalb ich davor kaum nervös war. Sie hatte mich aber ebenso gelehrt, dass die eigentlich furchteinflössende Phase erst danach beginnt: das Warten auf die Ergebnisse. Würde man ein DCIS mit blossem Auge erkennen, hätte man die betroffenen Zellen vermutlich bereits bei der Mastektomie entfernt – und müsste nicht auf gut Glück eine weitere Schicht Gewebe abtragen. Und danach eine dritte?

Glücklicherweise war der Befund diesmal unauffällig. Meine Angst war erneut unbegründet - und machte wiederum Platz für neue Sorgen.

Denn heute weiss ich: Wenn es je eine dritte Operation gäbe, hätte ich am meisten Angst vor dem Alltag danach. Vor den Zweifeln, die ein solcher Eingriff bringt. Vor den ungeahnten Verlusten und den noch lange spürbaren Störgefühlen. Es wäre eine subtilere Angst, aber eine kraftvolle.

Mir war klar, dass ich Zeit brauchen würde, mich mit der neuen Form meiner Brüste anzufreunden: anders platziert als früher; leicht asymmetrisch von der zweiten Operation; mit einer kleinen Kante, wo der Muskel aufhört und das Implantat beginnt.

Was ich nicht erwartet hatte: meine neuen Brüste waren zudem gefühllos.

Ich war wütend auf meine Ärztin und meine Chirurgen, die mich nicht aufgeklärt hatten. Und noch mehr auf mich selbst, weil ich nicht genügend nachgefragt, mich nicht ausreichend informiert hatte. Da bei der modernen Nipple-sparing-Mastektomie nicht nur die Brustwarze, sondern die gesamte Haut und Oberfläche der Brust erhalten bleibt, hatte sich mir die Frage nach der Empfindlichkeit einfach nicht gestellt. Empfindungen, so dachte ich, spielen sich schliesslich nicht im Drüsengewebe ab. Offensichtlich spielen sie sich aber auch nicht einfach nur auf der Haut ab. Sie sind um einiges komplexer – und angewiesen auf intakte Nerven. Genau diese werden bei der Entfernung des Brustgewebes meist verletzt oder durchtrennt.

Übrig blieb ein störender Druck von den Implantaten auf die darüberliegenden Muskeln, sowie Schmerzen von der Operation. Zudem war die straffe Haut rund um die Brüste unangenehm überreizt. Als ob mein Körper die Gefühllosigkeit der Brüste kompensieren wollte, indem er alle Reize an anderen Stellen intensiver weiterleitete. Sanfte Berührungen der Brust konnte ich hingegen nicht mehr geniessen, sie kamen einfach nicht mehr bei mir an.

Ich begann mich zu fragen, ob ich auf den Aufbau hätte verzichten sollen. Die Mastektomie war eine medizinische Notwendigkeit, die ich nicht bereute. Der Wiederaufbau hingegen war rein kosmetisch. Im Vorfeld wurde der Wiederaufbau immer in einem Atemzug mit der Amputation genannt. Ein weiblicher Körper ohne Brüste stand nie zur Debatte und kam mir auch selbst nicht als Alternative in den Sinn. Gleichzeitig hatte ich nicht mit körperlichen Einschränkungen gerechnet, sondern lediglich mit einer anderen Optik – dem zentralen Punkt meines Vorgesprächs beim Plastiker. Anstatt über Empfindlichkeit zu sprechen, hatten wir uns Vorher-nachher-Fotos anderer Patientinnen angeschaut. Ich konnte mir meine Brüste aus dem Katalog aussuchen. Leider konnte ich sie nicht anprobieren.

Noch heute, über zwei Jahre nach dem Eingriff, kenne ich die richtige Antwort nicht. Mit meinen neuen Brüsten füge ich mich in jedes Bild gut ein. Sie sehen – trotz der leichten Asymmetrie, die nie ganz verschwunden ist – gut aus. Doch einen anderen Zweck erfüllen sie bis heute nicht.

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19. Der fehlende Millimeter